Freitag, 21. März 2008

Kreuzberg


Versuchend nicht daran zu denken, dass dies der letzte Abend in dieser Rettungsstadt, ja sogar besonders in diesem Wunderbezirk ist, laesst sie sich, mal wieder, wie immer, in all ihrer Sehnsucht nach dieser Menschenmasse, grundlosen Hektik, fliessen. Die Begleitung der Zufriedenheit alle Punkte des Tagesprogrammes abgehakt zu haben, lassen sich am Schwung ihrer Schritte merken.

Chinesisch Essen in Kreuzberg als Abschied mit der Stadt, die all ihre Vorstellungen nachweisen konnte? Mit einem plötzlichen Wenden nach rechts geht’s ins Usta Restaurant. Das Menu-Schaufenster genau so eingerichtet, mit der chaotischen Ordnung, wie in ihrer Heimat.


Das Aufrege
n über die Meinungen, dass Döner das Hauptmenu ihrer Herkunft sei, hat sie seit langem aufgegeben. Gleichzeitig findet hinten in der Küche eine Sanierung statt. Ein paar Maenner schauen bei der Reperatur zu. Auch sie blickt in die gleiche Richtung, bis er in denselben Laden eintritt. Er stellt seinen Rucksack auf den Stuhl und wagt es nicht einen Blick in die Menukarte reinzuwerfen, da er wahrscheinlich öfters hierher kommt, was der Kellner mit seiner Reaktion auf seine Anwesenheit verraet. Ja, er ist sich sicher, dass der Gast wieder „das gleiche“ nimmt, wie immer. „Gerne“ bestaetigt er.


All dies sieht und hört sie mit der Faehigkeit der Augen, die auch ein Teil des Bildes sehen können, auch wenn sie nicht den Punkt zielen. Eine unerklaerliche Freude überfüllt sie, eine unerwartete Gemeinsamkeit. Die fast melancholische Stimmung ersetzt sich in einen Plötzlichen Beginn eines Gespraechs, einer für sie erwartenden Aufklaerung des Pides, die in einem Körbchen auf den Tisch gestellt wurden. Dafür stehen die Menschen früh auf und bilden eine Warteschlange, nur um ihn frisch zum Ramadansfrühstück (Sahur) essen zu können, erklaert sie mit Geduld. Nachdem sie mit der Erklaerung eine Pause macht, merkt sie erst, wie laut sie doch gesprochen hat.


Von Unbewusstheit kann hier nicht die Rede sein. Sie wollte, dass er auch alles mitkriegt. Zum ersten mal blickt sie zum Tisch nebenan, und sieht ihn, seine Augen, sein Dasein wird ihr jetzt endgültig bewusst. Sie ist sich in dem Moment klar, dass diese Begegnung nie aus dem Kopf gehen wird. Immer wird sie eine feste Stelle in ihrem Gedaechtnis für diesen Moment haben. Auch der Baklava kommt vor ihn serviert, ohne dass er einen bestellt. Sie schaut in die Bücherangebotsbrochure, freut sich auf die Preise der Hörbücher, schluckt ihren Ayran als Erfrischung nach dem Pide mit Kaese und Spinat runter.

Der Bus, den sie aus dem Fenster sieht, erinnert sie an die Zeit. Sie will noch den neuen Film noch sehen. Und jetzt? Will sie das wirklich? Ausgerechnet jetzt, in der 11.Sekunde des Treffens ihrer Blicke und genau dann, wo sein Laecheln erscheint? Sie gibtdies nicht schon vorher geschehen ist. Die Augen treffen sich beim Zahlen, Öffnen der Tür, Warten auf und Einsteigen in den Bus. Sie nimmt sich vor, nach dem Kino zurück in den Laden zu gehen. Der Film macht ihr trotz der gemütlichen Sofas nach dem schönen Eingang durch den Hof keinen Riesenspass. Mit Gedanken ist sie bei ihrer Entscheidung und der Vorstellung, eher der Frage, ob sie ihn jemals wieder sehen würde. Sie steigt in die U-Bahn, und merkt dabei, dass sie die richtige Nummer erwischt hat, ohne drauf zu achten; der erste Schritt der Gewohnheit ein Laecheln zurück, wobei sie sich nicht so ganz sicher ist, ob an einem Ort. Automatisches Erkennen der Richtungen. Es ist vom Alltag die Rede.

Den Laden habe ich nie wieder gesehen.

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